Welche Bindungstypen gibt es?
Der Pionier der Bindungsforschung, John Bowlby, hat mittels eines Testverfahrens versucht, Menschen in unterschiedliche Bindungstypen einzuteilen. Er geht davon aus, dass das Bindungssystem bereits bei jedem Menschen in den Genen verankert ist und durch die Interaktion mit den frühesten Bezugspersonen aktiviert wird. Die Art und Weise, wie Erziehungsberechtigte und primäre Bezugspersonen auf die Bedürfnisse eines Säuglings eingehen, ist ausschlaggebend für den Bindungstyp, dem das Baby bzw. das Kleinkind zugeordnet wird.
Diese Typen sind nicht statisch. Sie können sich über die Lebensspanne verändern, da die Beziehungen, die wir eingehen, nachnährend oder verstärkend wirken können. Mehr zu den Beziehungstypen über die Lebensspanne kannst du in einem eigenständigen Artikel über Bindung und Beziehungen nachlesen.
Die Daten, die die Grundlage der Forschung und Klassifizierung der Bindungstypen darstellen, erhob Mary Ainsworth, die gemeinsam mit Bowlby an der Bindungstheorie forschte. Mittels eines sogenannten „Fremde-Situation-Tests“ (FST) testete Ainsworth die Bindung in Bezug auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die Idee war, dass sie die ganzen schlauen Theorien, die Bowlby so fröhlich aufstellte, beobachtbar machen wollte, was ihr gelang.
Hier kannst du das Video zu “Bindung und Beziehungstypen” kurz und knackig zusammengefasst ansehen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Der Test von Bowlby lief folgendermaßen ab
4 Bindungstypen
Bindungstyp A: Unsicher vermeidende Bindung
Bindungstyp B: Sichere Bindung
Bindungstyp C: Unsicher ambivalente Beziehung
Bindungstyp D: Unsicher desorganisierte Bindung
Fazit zu den Bindungstypen nach Bowlby
FAQs: Bindungstypen
Der Test von Bowlby lief folgendermaßen ab:
1. Die Mutter und ihr Kind betreten gemeinsam ein unbekanntes Spielzimmer.
2. Nach einer gewissen Zeit betritt eine weitere dem Kind unbekannte Person den Raum und fängt an sich mit dem Kleinkind zu beschäftigen.
3. Die Mutter verlässt den Raum und kommt kurz darauf wieder zurück.
4. Die Mutter verlässt daraufhin erneut den Raum und die fremde Person bleibt beim Kind.
5. Die Mutter kehrt zurück, die fremde Person verlässt den Raum.
6. Die Mutter geht ebenfalls, das Kind bleibt allein zurück.
7. Die fremde Person kommt zum Kind.
8. Die Mutter kehrt zurück, die fremde Person geht.
Was genau wurde bei diesem Experiment beobachtet?
Die Art und Weise, wie sich das Explorations- und Bindungsverhalten des Kindes während des Zeitraums der Testung gestalten, ist ausschlaggebend für die Klassifizierung eines spezifischen Bindungstypus.
Es wurde also darauf geachtet, ob das Kind weiterhin in der Lage ist seiner Neugierde nachzugehen und sich auf das Spiel einlassen zu können oder ob es völlig aus der Bahn geworfen wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der beobachtet wurde, war das Verhalten des Kindes in Bezug auf die Mutter, wenn diese nach längerem Wegbleiben wiederkehrte. Reagierte das Kind freudig und rannte auf die Mutter zu? Resignierte es oder blieb es unbeeindruckt beim Spiel?
4 Bindungstypen:
Aus der Beobachtung ergaben sich schließlich vier unterschiedliche Bindungsmuster, die in folgende Bindungstypen eingeteilt werden:
- Bindungstyp A: Unsicher vermeidende Bindung
2. Bindungstyp B: Sichere Bindung
3. Bindungstyp C: Unsicher-ambivalente Bindung
4. Bindungstyp D: Unsicher desorganisierte Bindung


Bindungstyp A: Unsicher vermeidende Bindung
Auf den ersten Blick wirkt das Kind völlig unbeeindruckt vom Weggehen der Mutter. Es spielt weiter und reagiert auch nicht, wenn die Mutter wieder zurückkehrt. Was erst völlig harmlos erscheint, lässt darauf schließen, dass hier keine sichere Bindung zur Mutter besteht.
Das Kind hat in der Vergangenheit bereits die Erfahrung gemacht, sich nicht auf die Bezugspersonen verlassen zu können, da diese vermehrt die Bedürfnisse des Kindes unzulänglich beantwortet haben. Das Kind hat abgespeichert, dass es nicht auf die Erwachsenen vertrauen kann. Was also auf den ersten Blick ruhig und gelassen wirkt, ist eine Unterdrückung der eigentlichen Gefühle, die das Kind gelernt hat zurückzuhalten.
Kinder dieses Bindungstypus verinnerlichen oft ein negatives Selbstkonzept. Der unsicher vermeidende Bindungstyp klingt ungefähr so: „Ich bin nicht gut, so wie ich bin. Die Welt ist ein unsicherer Ort und ich bin auf mich allein gestellt. Ich kann mich nicht auf andere verlassen.“

Bindungstyp B: Sichere Bindung
Anders als Bindungstyp A reagiert der sichere Bindungstyp mit Weinen und Schreien, wenn sich sie Mutter entfernt. Kehrt sie zurück, wirkt das Kind sichtlich erleichtert.
Nach der Rückkehr der Mutter kann sich das Kind schnell wieder auf das Spiel konzentrieren. Kinder dieses Bindungstypus haben die Erfahrung gemacht, dass sie sich sehr wohl auf die erwachsenen Bezugspersonen verlassen können. Die Bedürfnisse des Kindes werden zeitnah und angemessen beantwortet.
Diese Kinder haben das Vertrauen, dass die Eltern zurückkehren, wenn sie sich entfernen. Das macht es ihnen möglich, ihre Umwelt ungestört und angstfrei zu erkunden. Der sichere Bindungstyp würde sich in etwa so anhören: „Ich kann die Welt erkunden, weil ich weiß, dass jemand auf mich aufpasst. Ich habe gelernt, dass ich mich auch in schwierigen Situationen darauf verlassen kann, dass meine Bezugspersonen zu mir zurückkehren und sich gut um mich kümmern.“

Bindungstyp C: Unsicher ambivalente Beziehung
Ähnlich wie bei Bindungstyp A lassen sich Kinder dieses Bindungstypus schnell aus der Ruhe bringen, wenn die Bezugspersonen sich entfernen. Das liegt vor allem daran, dass Bindungstyp C die Erfahrung gemacht hat, dass die primären Bezugspersonen sehr unterschiedlich auf die Bedürfnisäußerungen des Kindes reagieren.
Das eine Mal werden die Bedürfnisse liebevoll beantwortet, das andere Mal vernachlässigt. Was heute gilt ist morgen anders. Das Kind hat die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht auf das Verhalten der Erwachsenen verlassen kann und versucht Trennungssituationen zu vermeiden, da diese großen Stress auslösen.
Bindungstyp C kennzeichnet sich durch ein passives Verhalten und ist ein eher ängstlicher und unsicherer Typ. In Worte gefasst, klänge Bindungstyp C demnach so: „Ich traue mich nicht die Welt zu erkunden, da ich nicht weiß, ob meine Bezugspersonen zurückkehren, wenn sie gehen. Die Welt ist ein gefährlicher und unsicherer Ort. Ich bleibe lieber nah bei meinen Bezugspersonen und erkunde die Umwelt nicht auf eigene Faust.“

Bindungstyp D: Unsicher desorganisierte Bindung
Bindungstyp D wurde erst viel später in die Kategorie der unterschiedlichen Bindungstypen aufgenommen. Es handelt sich hierbei um Kinder, die sehr starke Reaktionen auf das Weggehen und Wiederkehren der Eltern haben.
Der D Typus reagiert völlig unzusammenhängend auf die Wiederkehr der Mutter. Bei diesen Kindern beobachten wir, dass sie vor den Bezugspersonen weglaufen, sie schlagen oder der Wunsch nach Nähe und Ablehnung der Bezugsperson zugleich existiert. Bei Kindern dieser Kategorie nimmt man an, dass sie Traumata erlebt haben, die sie auf Grund ihres jungen Alters noch nicht bewältigen können.
Dieser Bindungstyp kann Gewalt- und Missbrauchserfahrungen durch die Bezugspersonen oder Fremde erlebt haben. Wenn ein Kind sehr widersprüchliche und irrationale Verhaltensweisen zeigt, kann dies auf Bindungstyp D hindeuten. Der D-Typus würde wahrscheinlich so formulieren: „Ich habe Angst und brauche eine erwachsene Person, die mich beschützt. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Erwachsene mir weh tun und eine Gefahr darstellen. Wie soll ich meinen Wunsch nach Nähe und meine Angst davor nur unter einen Hut bringen?“
Fazit zu den Bindungstypen nach Bowlby
Wie alle Theorien und Konzepte ist auch die Bindungstheorie und die Klassifizierung in unterschiedliche Bindungstypen immer kritisch zu beäugen. Nicht jedes Kind, das in einer Abholsituation irrational reagiert, wurde missbraucht und nicht jedes Kind, das sich nicht vom Spiel ablenken lässt, gehört zu Bindungstypus A.
Die Theorien von Bowlby und Ainsworth sollen nur Anhaltspunkte geben, um (spätere) Beziehungserfahrungen und Bindungsthemen zu veranschaulichen und diese begreifbarer zu machen. Also easy peasy lemon squeezy. Zu den Beziehungstypen und den Auswirkungen der Bindungstheorien kommen wir noch in späteren Artikeln.
FAQs: Bindungstypen
Wie heißen die vier Bindungstypen?
Wir unterscheiden vier Bindungstypen: Typ A,den unsicher-ambivalent gebundenen Typen. Personen, die unter Typ B kategorisiert werden, sind sicher gebunden. Typus C fasst Menschen des unsicher-vermeidenden Bindungstypen zusammen und Typ D spricht von einer desorganisierten Bindung.
Wie erkenne ich meinen Bindungsstil?
Die Erklärungen zu den jeweiligen Bindungstypen liefern bereits viele Informationen, um sich selbst einem jeweiligen Typen zuzuordnen. Der Bindungstyp kann sich allerdings über die Zeit verändern, da er nicht statisch ist.
Welche Bindungstypen ziehen sich an?
Beziehungstypen, die beziehungsvermeidend sind (Typ A), haben oft eine starke Anziehung auf Bindungstypen, die unsicher-ambivalent sind (Typ C). Dadurch, dass Bindungstyp A das Narrativ bestätigt, dass Typ C keinen Anspruch auf respektvolle Beziehungen hat, kann hier eine toxische Verstrickung entstehen.
Sind Bindungsstile und Beziehungstypen dasselbe?
Im Prinzip wächst der Beziehungstyp aus dem Bindungsstil, da Zweiterer die Grundlage liefert, wie wir Beziehungen erfahren und abgespeichert haben. Beide Phänomene sind jedoch nicht statisch und können sich über die Lebensspanne verändern.
Welche Bindungstypen gibt es in der Pädagogik?
Das pädagogische Umfeld dient in erster Linie der Beobachtung über die menschliche Entwicklung. Deshalb ist es auch naheliegend, dass alle unterschiedlichen Bindungstypen im pädagogischen Kontext gut erfasst werden können. Wenn wir in der Pädagogik das Bindungsverhalten eines Menschen mitdenken, kann es gelingen, die Bedürfnisse besser zu verstehen und adäquat darauf reagieren zu können. Hier ist es auch möglich, eine eventuell notwendige Nachbeelterung anzubieten, um möglichen destruktiven Bindungsmustern entgegenzuwirken.
Literatur:
Grossmann, K.E./K.; (2015, 7. Auflage): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Stuttgart, Klett-Cotta
Seiffge-Krenke, I. (2009): Psychotherapie und Entwicklungspsychologie . Mainz und Heidelberg, Springer
Sauermoser, C. (2023): Kindliche Sexualität. Das rundumbuch für eine gesunde Entwicklung. Wie ein Tabuthema seine Natürlichkeit zurückerlangt. Innsbruck, Bayer
Goddemeier, C.; (2015): John Bowlby: Pionier der Bindungsforschung. Ärzteblatt
Veith, C.; (2008): Die Bindungstheorie. Überblick und neue Forschungsansätze. Innsbruck, Sozialpädagogisches Institut, Fachbereich Pädagogik, SOS Kinderdorf
Sichere Bindung.info: (Quelle: Stangl, W. (2020). Stichwort: ‘Bindungstypen’. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.WWW: https://lexikon.stangl.eu/5727/bindungstypen/ (2020-02-09))